Verkaufsoffene Sonntage: Pro & Kontra zur Sonntagsöffnung

Unser ganzes Leben ist von Entscheidungen geprägt. Die meisten davon treffen wir wohl in unserem Unterbewusstsein, sie erscheinen uns zu klein und unbedeutend, als dass wir etwas unserer kostbaren Zeit an sie verschwenden würden. Dennoch, und davon bin ich fest überzeugt, sind es gerade all die kleinen Entscheidungen die wir täglich treffen, die in ihrer Summe den Verlauf unseres Lebens bestimmen, oder die uns zumindest Auskunft darüber geben können, welche Werte und Ideale uns dabei leiten.

Eine dieser scheinbar banalen Fragen ist die über den Verkaufsoffenen Sonntag – sprechen wir uns dafür oder dagegen aus?

Zu aller erst sollten wir uns dann wohl vor Augen führen, dass wir uns in einer Konsum- /Leistungsgesellschaft befinden. Schon in der Schule wird den Kleinsten meist erfolgreich beigebracht, dass Leistung bzw. Produktivität maximiert werden müssen. Denn nur wer hart und bestenfalls rund um die Uhr arbeitet wird wirklich gut verdienen, und viel Geld bedeutet viel Konsum und Konsum wiederum bedeutet Glück. Und da die Freude über beispielweise eine neue Jeans bekanntlich nicht sehr lange anhält, muss man anschließend wieder sehr produktiv sein, um sich erneut ein Stück vom „kurzen Glück“ kaufen zu können.

Da die Zeit jedoch zu den wenigen Dingen gehört, von der man sich auch mit einem Batzen Geld nicht noch etwas mehr aneignen kann, sollten wir das bisschen das wir haben auch möglichst sinnvoll investieren. Also, wieso auch nicht noch an einem Sonntag arbeiten und konsumieren?

Immerhin basiert unsere Wirtschaft darauf, dass immer genug Geld ausgegeben werden muss damit auch wieder welches reinkommen kann. Ein Tag mit offenen Läden mehr bedeutet also auch mehr Produktivität, was wiederum mehr Umsatz zur Folge hat für alle Geschäfte, die sich daran beteiligen. Allerdings sollte dabei folgendes bedacht werden:

Nur weil der Konsument nun einen Tag mehr zum Einkaufen hat, steht ihm nicht unbedingt auch mehr Geld zur Verfügung, das er ausgeben könnte. Stattdessen verteilt er wohlmöglich das Budget, das er vorher an sechs Wochentagen ausgegeben hatte, auf sieben Tage. Nicht nur das die Geschäfte in diesem Fall nicht mehr Umsatz machen würden, gleichzeitig verlieren sie auch noch Geld, da die Mitarbeiter und Putzkräfte einen Tag länger bezahlt werden müssen.

Ob es tatsächlich zu einem bemerkenswerten Anstieg in der Wirtschaft kommt bleibt also fraglich, und diesem Risiko wegen wollen wir den `heiligen Sonntag` aufgeben?

Immerhin steht schon in der Bibel geschrieben: „Am siebten Tage sollst du ruhen.“ Nach sechs Tagen harter Arbeit, so soll es Gott den Menschen vorgelebt haben, dient der siebte Tag der Woche zur Erholung, um die getane Arbeit zu würdigen und so zum Anfang der nächsten Woche wieder gut ausgeruht seinen Tätigkeiten nachgehen zu können. Diesem Vorbild folgend legen Christen in den verschiedensten Ländern am Sonntag ihre Arbeit nieder, feiern den Gottesdienst oder nehmen sich einfach Zeit für ihre Familien und sich selbst.

„Der Mensch wird nicht reduziert auf das, was er leistet und tut. Am Sonntag kann der Mensch einfach nur Mensch sein“, formuliert es Nikolaus Schneider, Vorsitz der evangelischen Kirche im Rheinland, sehr treffend in seinem Artikel „Sonntag, Ruhetag“, der von der `Zeit Online` am 18. November 2010 veröffentlicht wurde.

Sind wir also tatsächlich bereit den im Christentum schon seit Jahrhunderten heiligen Sonntag unserer Konsumgesellschaft zu opfern?

Andererseits sollte man der Ehrlichkeit wegen an dieser Stelle wohl hinzufügen, dass der christliche Glaube, oder Religion im Allgemeinen, heutzutage, gerade unter jungen Menschen, sehr an Bedeutung eingebüßt hat. Tatsächlich wird sie kaum noch praktiziert, die Bibel wird von den Meisten nur noch dann aufgeschlagen, wenn es im Religionsunterricht notwendig ist, und auch der sonntägliche Gottesdienst wird fast nur noch von ein paar alten Stammgästen besucht.

Die wenigen alten Traditionen, die wir in unser modernes Leben integriert haben, nehmen wir zum Beispiel Weihnachten, haben doch auch nur deshalb einen Platz gefunden, weil sie für unsere Wirtschaft eine unentbehrliche Rolle spielen.

Im modernen Weihnachten geht es im Großteil der Haushalte doch bloß noch um gutes Essen und teure Geschenke, kurz gesagt Konsum, und nicht mehr um die Bibel oder die Geburt Jesu.

Wir leben in einer Gesellschaft aus Atheisten und Christen, die nur noch zu Weihnachten welche sind. Wir glauben an hohe Zinsen, Bausparverträge und Einkaufscoupons, unsere Religion haben wir aus dem Kaufhauskatalog und gepredigt wird sie von den sozialen Medien auf unseren stets treuen Smartphones.

Kurz gesagt: Das Christentum ist sowas von gestern. Total veraltet. Wäre da eine Anpassung des Sonntags an die moderne Welt nicht angebracht?

Es fällt uns Menschen oft schwer uns wissentlich von etwas Altem zu trennen, dennoch läuft die Zeit weiter und bei dem Wandel den sie dabei vollzieht soll auch der Sonntag nicht zurückbleiben. Morgens einkaufen statt in den Gottesdienst. Mittags in die Mall anstelle von Kaffee und Kuchen mit der Familie. Zumindest wäre diese Planung wesentlich besser an die Welt, wie wir sie heute kennen, angepasst, oder etwa nicht?

Dennoch drängt sich dabei die Frage auf, ob es uns nicht möglich sein müsste, ein paar alte Werte und Ideale aufrecht zu erhalten, auch ohne dass sie an eine Religion gebunden sind? Immerhin sind es doch gerade die für uns typischen Werte und Ideale, die unsere Kultur ausmachen und von anderen unterscheiden.

Die Familie sollte auch ohne Religion eine große Rolle für unsere Leben spielen, einen Tag von Arbeit frei zu halten um sich stattdessen Kunst, Kultur und dem Menschsein zu widmen, klingt in meinen Ohren nach einer sinnvollen Idee, auch ohne dass es uns ein Gott vorgelebt hat.

Die Kontinuität gewisser Ideale, ihr bestehen unabhängig von der jeweiligen Zeit und Gesellschaft, ist Teil der Menschlichkeit die uns vom Tier unterscheidet.

Statt den Sonntag also jedem anderen Wochentag anzugleichen, könnte man an diesem Tag seiner Familie besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, nicht weil es eine Religion verlangt, sondern uns selbst zu Liebe.

An dieser Stelle wird in einigen gut erzogenen oder auch einfach harmoniebedürftigen Bürgern natürlich das Bedürfnis nach einem Kompromiss aufkommen. Zeit mit den Liebsten und Shopping sollten doch kombinierbar sein? Einkaufen als eine Art Familienevent, ein Ausflug mit den Kindern in die Mall.

So würden verkaufsoffene Sonntage auch den Familien ermöglichen gemeinsam diverse Erledigungen zu machen, deren Angehörige die Woche über verhindert sind. Gerade alleinerziehenden Elternteilen würde es so leichter fallen, Arbeit, Einkäufe und Kinderhüten zu vereinen.

Würden so denn nicht alle profitieren? Was spricht dagegen, unser Bedürfnis nach Konsum und Familienzeit in einem verkaufsoffenen Sonntag zu vereinen?

Um diese Frage zu beantworten, sollte man nur mal daran denken, was in diesem Fall verloren gehen würde.

Ja natürlich, Geld bedeutet Konsum und das wiederum verschafft uns dieses ́kurze Glück ́, das wir verspüren, wenn wir uns etwas leisten, was wir eigentlich gar nicht brauchen, oder zumindest nicht in diesem Maß. Was aber verhilft uns zu andauerndem Glück?

Die einen finden es in einem interessanten Gemälde oder Buch, vielleicht in einem wohl durchdachten Musikstück, auf den Tasten eines Klaviers oder doch auf einem Sportplatz, und wieder andere in der innigen Beziehung zu ihren Liebsten.

All diese Leidenschaften, die meist unter dem Begriff Kultur die verschiedensten Zeiten an unserer Seite überdauerten, sind es, die uns Individuen zu dem machen, was wir sind. Und sie drohen verdrängt zu werden, von einer Gesellschaft, die vergeblich versucht den Sinn des Lebens in Produktivität und Leistungssteigerung zu finden. Dieser Verfall alter Werte und Sitten erinnert mich unvermeidlich an Thomas Manns Werk ́Buddenbrooks`, in dem er vom Niedergang einer einst angesehen und wohlhabenden Familie berichtet.

Der „heilige“ Sonntag, gleichgültig ob wir ihn nun der Kirche, Gott oder sonst wem zu verdanken haben, stellt in der Welt wie wir sie heute kennen eine letzte Instanz dar, die den Erhalt wichtiger Werte und Ideale sichert. Da Geschäfte und Läden an diesem einen Tag nicht geöffnet sind, wird der leicht zu verführende Mensch zu nichts verleitet und kann ruhigen Gewissens seine Arbeit niederlegen, um sich den Dingen zuzuwenden, die ihm ursprünglich ein natürliches Bedürfnis sind.

Auf diese Weise wird die scheinbar banale Frage, ob wir uns für oder gegen den verkaufsoffenen Sonntag aussprechen, zu einer Wertefrage und der schwerwiegenden Entscheidung zwischen Ehrgeiz und Idealen.

Keineswegs möchte ich hiermit die Bedeutung von harter Arbeit reduzieren, jedoch scheint es mir essentiell, ein gesundes Gleichgewicht zwischen einerseits Leistung und Konsum und andererseits Kultur und menschlichen Werten zu finden, weswegen ich mich entschieden gegen einen verkaufsoffenen Sonntag ausspreche.

Abschließend möchte ich daher folgenden Appell formulieren: Nutzt den Sonntag um euch selbst oder gerade euren Kindern Chopin, Kafka oder diverse andere Kunst nahe zu bringen, oder verbringt anderweitig Zeit mit ihnen, ohne sie dabei weiter in eine Gesellschaft einzuführen, die ihnen einreden möchte, Konsum sei der Schlüssel zum Glück.

Ein Aufsatz von Lena Germann